Karlsruher Straße 33

Das Gelände entlang der heutigen Karlsruher Straße, westlich der Kraichbachbrücke , wurde etwa ab 1884 überplant und sollte so rasch wie möglich bebaut werden. Am 13. Mai 1887 kaufte die Sparkasse Hockenheim an dieser Straße ( damals Bahnhofstraße, vormals Speyerer Weg) für 1.191,60 Mark einen 715 qm großen Acker mit der seinerzeitigen Lgb .Nr. 5886e. Verkäufer waren der im Kaufvertrag als „Privatmann“ bezeichnete Jakob Schränkler VII. und seine Ehefrau Elisabetha geb. Schuppel. Eine parallel zum Straßenverlauf dahinter liegende schmale aber sehr lange Ackerfläche wurde zu jener Zeit ebenfalls von der Sparkasse erworben, unterteilt, den zur Straße hin gelegenen Grundstücken zugemessen und den entsprechenden Eigentümern verkauft.

Bald danach vergab das Kreditinstitut in enger Abstimmung mit der Stadtverwaltung den Auftrag für Planung und Erstellung eines nicht unterkellerten eingeschossigen Gebäudes mit ausgebautem Dachgeschoß. Das 1890 fertiggestellte Haus mit der damaligen Hausnummer 28 (erst seit dem Jahr 1910 Nr. 33) stand damals zwar ziemlich auf einsamer Flur, war aber auf jeden Fall das erste Dienstleistungsobjekt an dieser Straße und damit Vorbote einer Entwicklung hin zur Andienung eines umfassenden Angebots. Ursächlich dafür war, dass fast täglich hunderte Hockenheimer auf den Weg zum bzw. vom Bahnhof zweimal durch diese Gegend kamen. Was lag da näher, als diesen Bürgern die Nutzung verschiedenster Möglichkeiten quasi im Vorbeigehen zu ermöglichen. So erstaunt es nicht, dass in immer schnellerer Folge Neubauten hinzu kamen von Post (1900), Gaswerk/Stadtwerke (1902), Volksbank (1911), Autohaus mit Tankstelle, Kino, Zeitungsverlag, Arztpraxen, Einzelhandelsgeschäfte u.a.

Der im Auftrag der Sparkasse erstellte, recht bescheidene Neubau stellte wohl eine Kopie des Standardgebäudes dar, welches seinerzeit an vielen Stellen unserer Stadt entstand und heute noch z.B. entlang der Heidelberger Straße zu sehen ist . Dass das damals noch sehr kleine Kreditinstitut als Bauherr auftrat, ist trotzdem auf den ersten Blick völlig unverständlich, denn es benötigte noch kein Gebäude für eigene Zwecke Hinter diesem Bauwerk steckte vielmehr der politische Wille der Gemeinde als Alleineigentümer und Gewährsträger der Sparkasse, zumal seinerzeit der Bürgermeister kraft Amtes dort auch das mit Abstand einflussreichste Vorstandsmitglied war. Folgerichtig mietete die Gemeinde das Anwesen an und verlegte in die neuen Räume das seinerzeit noch im alten, abbruchreifen Rathaus residierende örtliche Notariat. Dies wiederum ermöglichte den Beginn der Arbeiten für den dringlichen Rathausneubau, welcher im Jahr 1892 eingeweiht wurde.

Nachdem Hockenheim im Jahr 1895 die Stadtrechte erhalten hatte und sich wirtschaftlich gut weiter entwickelte, wurde der Wunsch des Bürgermeisters erhört, der sich eine standesgemäße Wohnung in einem städtischen Haus vorstellte. Entsprechende Beschlüsse wurden wohl 1904 gefasst und im Jahr danach von den Landesbehörden abgesegnet, denn im Jahr 1905 wurde die Baupläne genehmigt. Diese liefen zwar offiziell unter der Bezeichnung „Notariatsumbau“, erstellt wurde jedoch ein völliger Neubau und zwar „vom Feinsten“.

Die Bögen des Gewölbekellers wurden aus rotem Sandstein gemauert, deren obere Rundungen mit Sand ausgefüllt , dann mit Holzbalken belegt und darauf Holzdielen befestigt. Die Geschoßdecken werden gebildet durch Holzbalken, deren Zwischenräume erhielten eine Tragschicht aus einem Lehm-Stroh-Gemisch , darüber eine kleine Sandschicht und diese wiederum mit Holzdielen belegt. Im Rahmen derzeit laufender Renovierungsarbeiten kam unter diese Dielen stattdessen eine Betonschicht. Die Außenwände sind aus rotem Sandstein gemauert, auf deren Außensockel Gewände aus braunem Sandstein aufgesetzt wurden (im Laufe der Jahre hier entstehende Schäden wurden allerdings auf recht billige Art mit bemaltem Beton verdeckt). Die Innenwände bestehen aus Ziegelsteinen.

Als gestalterische Mittel für das im Jahre 1908 bezugsreife typische Gründerzeithaus wurden ein aufwendiger Eingangsbereich mit aufsitzendem Balkon, ein ungewöhnlicher Erkervorbau am ersten Obergeschoss und eine imposante Dachkonstruktion gewählt. Auch im Inneren wurde seinerzeit nicht gespart, wie u.a. ein eindrucksvolles Treppenhaus mit Oberlicht beweist. Die Fassade wirkt zwar auf den ersten Blick gewollt aufwendig und fast überladen , beeindruckt aber trotzdem auch heute noch in ihrer Gesamtansicht. Am Ende der Hofeinfahrt entstand die Remise für eine Kutsche, die vermutlich eher dem auswärts wohnenden Notar diente als dem Bürgermeister, zumal letzderem seinerzeit noch kein Dienstfahrzeug zur Verfügung stand. Zwecks Abgrenzung zu den Nachbargrundstücken wurden recht aufwendige, dekorative Mauern hochgezogen.

Im Erdgeschoß verblieb das Notariat, die große Wohnung im 1. Obergeschoß stand hinfort dem jeweilige Bürgermeister zur Verfügung und im Dachgeschoß war eine Wohnung für Mitarbeiter der Stadtverwaltung entstanden, welche zugleich die Funktion des Hausmeisters übernahmen. Für viele Bürger ist dieses Haus, welches heute noch das Selbstbewusstsein und die Zukunftshoffnung der stolzen Zeit des Kaiserreichs erkennen lässt, auch heute noch das schönste der Stadt. Es steht unter Denkmalschutz und würde sicherlich gut in jedes Gründerzeitviertel einer Großstadt passen.

Erst im Jahr 1917, als das Notariat nach Schwetzingen verlegt wurde, zog die Sparkasse in das frei gewordene Erdgeschoß des Gebäudes ein; vorher wurde im Keller unter dem transportablen, schweren Tresor ein Eisenträger eingebaut . Die Gegend an dem seit 1896 (anlässlich des Besuchs des Großherzogs) von Bahnhofstrasse in Karlsruher Straße umbenannten uralten Handelsweg war zwischenzeitlich zum stark frequentierten Dienstleistungszentrum der Stadt geworden und der Standort damit interessant. Im Zuge der Entwicklung hin zu einer Bezirkssparkasse entstand ab Anfang der dreißiger Jahre größerer Platzbedarf. Das Problem wurde dadurch gelöst, dass das Kreditinstitut im Rahmen eines Geländetausche mit der Kommune im Jahr 1935 seinen Sitz in das ursprünglich als Zigarrenfabrik erbaute Anwesen an der Karlsruher Straße 20 verlegte. Die Stadt als neue Eigentümerin des inzwischen im Volksmund als „Notariat“ oder „Bürgermeisterhaus“ bekannte Objekt veranlasste umfassende Renovierungsmaßnahmen in deren Zuge auch Bäder eingebaut wurden . Anschließend zog die Bürgermeister-Familie in das Erdgeschoß um und die Wohnung im 1.OG. wurde an einen Schulleiter vermietet. Die Remise wurde abgerissen und im Garten eine Garage erstellt.

Den Zeitumständen entsprechend folgte schon Im Jahr 1940 eine weitere Modernisierungsaktion, welche vorrangigen der Bürgermeisterwohnung galt, denn der damalige Repräsentant des „tausendjährigen Reiches“ hielt es für angebracht, dass dessen umfassender Anspruch auch auf diese Weise deutlich sichtbar werden sollte. Noch nicht absehbar war zu diesem Zeitpunkt, dass der Amtsinhaber bereits knapp fünf Jahre später fluchtartig auszog, um nicht in die Hände der Alliierten zu fallen, zumal diese kurz davor standen, das zur „Festung“ erklärte Hockenheim vor der Besetzung ihn Trümmer zu legen. Dank mutiger Bürger blieb unsere Stadt vor der Zerstörung bewahrt. Eine weitere Folge dieser Entwicklung war allerdings auch, dass die Amerikaner das Haus beschlagnahmten und fast ein Jahr mit Truppen belegten, was deutlichen Renovierungsbedarf hervorrief.

Da erwies es sich als Glücksfall, dass ein in Mannheim ausgebombter Frauenazt, Dr. Battenstein , im Erdgeschoß des Gebäudes eine Praxis einrichten wollte. Der neue Bürgermeister erkannte die große Chance, schaffte es irgendwie, dass trotz Mangel an allem Erforderlichen notwendige Bauarbeiten durchgeführt werden konnten und ermöglichte dadurch, dass der Mediziner bis zu seinem altersbedingten Rückzug Ende der 50er Jahre seine wertvollen Dienste an Frauen und Kleinkindern der ganzen Region leisten konnte. Nicht nur in seiner Funktion als Arzt, sondern auch als Mitbegründer der HCG verband er Humor mit Lebensweisheit und ist bei den meisten älteren Hockenheimern unvergessen.

Die Wohnungen wurden weiterhin ausschließlich an Personen vermietet, welche im öffentlichen Dienst tätig waren, Bürgermeister zog allerdings seither nicht mehr in das Haus ein . Unaufschiebbar gewordene Renovierungsarbeiten wurden im Jahr 1950 ausgeführt, doch danach geschah in baulicher Hinsicht fast 60 Jahre lang nichts Wesentliches auf dem Grundstück, wenn man davon absieht, dass im Jahr 1972 und einige Jahre später im Garten zwei weitere Garage entstanden.

Im Rahmen der Trennung der Stadt von nicht mehr unbedingt benötigtem Grundbesitz wurde das Objekt im Jahr 2009 von dem ortsansässigen Architekten Harald Süß erworben, der Erweiterungs- und Modernisierungsarbeiten in Gang gebracht hat mit dem Ziel der Schaffung von herausragenden Eigentumswohnungen, die vermarktet werden sollen. Die östliche Außenmauer des Haus wird zwar etwas verbreitert und die Hofseite teilweise umgestaltet, die auffällige Fassade zur Straße hin bleibt jedoch unangetastet bzw. wird renoviert. Nach Abschluss aller Arbeiten werden sechs moderne Wohnungen entstanden sein, die zeigen sollen, dass in zwar alter aber guter Bausubstanz modernes Leben mit besonderem Flair sehr gut möglich ist.
 
Verfasser: Horst Eichhorn, unterstützt von Harald Süß, Herbert Roth, Bernhard Rüttinger u.a.

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