Untere Hauptstraße 9

Das Grundstück mit der Flurstück-Nr. 232 (813 qm) liegt nur rund. 100 Meter nördlich des Zentrums von Hockenheim, der „Fortuna-Kreuzung“ , und wurde deshalb vermutlich bereits zu Zeiten der Erstbesiedlung durch Alemannen (ab 275 n.Chr.), spätestens aber nach Übernahme durch die Franken (nach 496 n.Chr.) gerodet und dann landwirtschaftlich genutzt. Nachdem Hockenheim im Jahr 1462 zur Kurpfalz gekommen und deshalb am Speyerer Weg (heute: Karlsruher Straße) eine Zollstation eingerichtet worden war, mussten fast täglich Viehhändler ihre Herden unterbringen, weil sie erst an einem der nächsten Tagen abgefertigt werden konnten. Die dafür benötigten Flächen lagen hauptsächlich zwischen der heutigen Unteren Hauptstraße und dem Kraichbach, schlossen also auch die genannten Flurstücke ein.


Wann dort die ersten bewohnbaren Holzhütten errichtet wurden, konnten wir nicht ermitteln, vermuten aber, dass dies um das Jahr 1700 geschah. Damals entstand großer Bedarf  für Wohnraum, bedingt durch die große Zahl von Neubürgern, die seinerzeit als Folge einer gezielten Einwanderungspolitik der kurpfälzischen Verwaltung hier ankamen. Anhand des aktuellen  Lageplans kann davon ausgegangen werden, dass das Anwesen ursprünglich auch die benachbarten Flurstücke Nr. 232/1, 233 und 233/1 umfasste und damit rd. 1300 qm groß war; möglicherweise gehörte auch die Nr. 220/2.  dazu.

Aus der ältesten uns vorliegenden Urkunde geht hervor, dass am 26. Februar 1873 Philipp August Fuchs, „Landwirth in Hockenheim“, aufgrund Erbschaft als neuer Eigentümer der „Hofreite mit Gebäulichkeiten und Hausgarten“ im Grundbuch eingetragen wurde. Er dürfte derjenige gewesen sein, der die erforderlichen Um- und Ausbauten durchführen ließ, um die Gaststatte „Zum Adler“ eröffnen zu können. Ihm folgte im August 1911 sein erst 14-jähriger Sohn Eduard  Fuchs., der erst sieben Jahre später volljährig wurde und deshalb bis zum Ende des 1. Weltkrieges auf die Unterstützung durch seine Mutter und andere Verwandte angewiesen war.

Angesichts der Vielzahl von Wirtshäusern waren deren Inhaber bzw. Pächter stets bemüht, Besonderheiten anzubieten, um möglichst viele Gäste anzulocken. Da war es vorteilhaft, Stammkneipe von Sportvereinen, Skat- und Kegelclubs und auch politischen Parteien zu werden. Vermutlich auf diese Weise wurde der „Adler“ zum Versammlungslokal der Nazis und ihrer Gruppierungen. Dabei trat  besonders die SA hervor, welche im Keller des Gebäudes ihren regionalen, schalldicht verkleideten Verhörraum (umgangssprachlich „Heldenkeller“) einrichtete, wo Dutzende oft nur vermutete Gegner der NSDAP  meist unter Gewaltanwendung „verhört“ , also gefoltert wurden.

Vermutlich war dem Eigentümer des „Adler“ dieses Treiben unangenehm, denn trotz ausreichender Mittel gab er den geplanten Ausbau der Gastwirtschaft nicht in Auftrag, sondern verkaufte das während der Nazi-Jahre an der Bismarckstraße gelegene Anwesen im Jahr 1935 an die „Schwanenbrauerei Kleinschmitt AG“ in Schwetzingen. Der neue Eigentümer begann schnellstmöglich mit der Verwirklichung umfangreicher Modernisierungs- und Ausbauarbeiten, welche gegen Ende des Jahres 1936 abgeschlossen wurden. In das Obergeschoss des erweiterten Hauptgebäudes war eine Wohnung eingebaut worden, die von dem Pächter Karl Zahn aus Hockenheim und seiner Familie bezogen wurde. Diesen folgte Ende der vierziger Jahre die Hockenheimer Wirtsfamilie Müller; welche die Gaststätte bis Ende 1960 betrieb.
Ab etwa 1955 ließ der Vorstand der Schwanenbrauerei Umbaupläne ausarbeiten, die ab Anfang 1957 umgesetzt wurden. Das Altgebäude wurde bis zur Kellerdecke abgerissen und darüber ein Neubau erstellt, der infolge versetzter Rückwand und überbauter Einfahrt erheblich mehr Nutzfläche hatte. Dadurch wurden im Erdgeschoss ein größerer Gastraum und ein modernes Nebenzimmer möglich und die Küche wurde ergänzt durch ein kleines Schlachthaus mit Wurstküche und Kühlraum. Weitere Lagerflächen und eine neue Heizanlage kamen hinzu. Im Obergeschoss waren jetzt neben der Pächterwohnung zwei Fremdenzimmer nutzbar. Im Hof entstand ein kleiner Biergarten, der allerdings nur echten Stammgästen zur Verfügung stand. Daneben wurden einige Stellflächen für Kraftfahrzeuge geschaffen, wovon später fünf Stück per Baulast an Nachbarn abzugeben waren.

Erste Räumlichkeiten waren bereits ab Ende 1957 wieder nutzbar, was dadurch belegt ist, dass der „Schachclub 1929 Hockenheim e.V.“ seine Treffen wieder dort abhalten konnte. Dieser hoch angesehene Verein erlebte im „Adler“ das intern als „Trauerjahr“ bekannte 1959, als sich , bedingt durch die neu eingeführte „5-Tage-Woche“, einige Mitglieder aus beruflichen Gründen veranlasst sahen, eine Abspaltung  vorzunehmen, die fortan unter dem Namen „Schachclub Schwarz Weiß Hockenheim“ auftrat. Dank des unermüdlichen Einsatzes von Ehrenmitglied Dieter Auer konnte nach 15 Jahren die Trennung überwunden werden, was mit dem seitherigen Vereinsnamen „Schachvereinigung 1930 Hockenheim e.V.“ zum Ausdruck kommt.
Die restlichen Bauarbeiten am „Adler“ zogen sich derweil immer weiter hin, denn in einer amtlichen Urkunde von Anfang 1960 ist zu lesen „Weiterbau unvollendet“. Diese langen Verzögerungen, welche nur eine teilweise Nutzung des Objekts zuließen, dürften eher finanziellen als baulichen Gründen geschuldet sein. Erst ein Jahr später wird „Neubau-Vollendung“ attestiert.

Die neuen Gasträume waren freundlich und sauber, das Mobiliar im Stil der Zeit praktisch und schnörkellos. Die Gaststätte genoss einen guten Ruf, insbesondere nachdem Küchenchef Kneer das Kommando übernommen hatte.
Der „Schwanenbrauerei Kleinschmitt AG“ ging es ab den 70er Jahren wie vielen kleineren Unternehmen dieser Branche. Die Erzeugnisse  wurden immer weniger nachgefragt und man war gezwungen, die Aktivitäten zurückzufahren. Dazu gehörte auch die Trennung von Immobilienbesitz und so war es nur konsequent, auch für den „Adler“ einen Käufer zu suchen. Den fand man im Frühjahr 1980 in der Person von Erich Kromer aus Baden-Baden.

Schon acht Jahre später wurden die Eheleute Alois und Gabriele Schneider geb. Weidner neue Eigentümer. Sie verpachteten den „Adler“ und sicherten sich mit den Pachteinnahmen eine zweite Einnahmequelle neben den Einkünften, die sie mit einer Immobilienverwaltung erwirtschafteten.

Im Jahr 1995 wurde das Anwesen erneut verkauft; diesmal wieder an echte Gastwirte, nämlich die  italienische Bruder-Familien Maragioglio. Sie nannten ihr Haus „Bella Capri“ und betreiben es seither erfolgreich mit Schwerpunkt auf südländischen Spezialitäten aus Küche und Keller.. 

Verfasser: Horst Eichhorn und Klaus Brandenburger

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